Warum strategischer Einkauf unverzichtbar ist
Allgemein, Bausoftware, Beschaffung
Die Antwort lautet kurz und knapp:
Strategischer Einkauf ist unverzichtbar, damit der operative Einkauf, der für die Versorgung der Unternehmen mit Waren und Dienstleistungen zuständig ist, seine Aufgabe zielgerichtet und bestmöglich ausführen kann.
Was verstehen wir unter „strategischem Einkauf“?
Im strategischen Einkauf werden
- das Warengruppenmanagement
- das Lieferantenmanagement
- die Prozesse und Systeme
- die Einkaufsorganisation
festgelegt, damit der operative Einkauf die Bedarfe effizient nach klarer Vorgabe abwickeln kann. Der strategische Einkauf verantwortet demzufolge die langfristige (Planung der) Einkaufspolitik.
Strategischer Einkauf in simpelster Form existiert bereits, wenn ein Einkäufer für mehr als eine Baustelle denkt und handelt und bspw. eine Bündelung vornimmt oder einen Rahmenvertrag abschließt.
Die Bedeutung des strategischen Einkaufs für die Wettbewerbsfähigkeit
Die Bedeutung des Einkaufs im Unternehmen wird immer dann besonders deutlich, wenn es um den Erhalt oder die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geht, da jeder gesparte Euro „direkt und ungeschminkt“ in die GuV wandert und somit den Gewinn unmittelbar erhöht. Da die eigene Wertschöpfung in der Baubranche unter 30 % liegt und demzufolge die Fremdleistung mehr als 50% – meist sogar mehr als 2/3 des Umsatzes – beträgt, ist diese Hebelwirkung in keinem anderen Unternehmens- oder Funktionsbereich auch nur annähernd vorhanden. Einsparungen oder Kostenverbesserungen sind i.d.R. schneller und wirksamer zu realisieren als Produktivitätssteigerungen, sofern man einen professionellen strategischen Einkauf implementiert hat.
Ein BeiÂspiel zur VerÂdeutÂliÂchung des Einkaufseffekts
Ausgangslage:
Ein UnÂterÂnehÂmen erÂwirtÂschafÂtet eiÂnen UmÂsatz von 100 Einheiten und erÂzielt daÂbei ein ErÂgebÂnis vor Steuern von 3 Einheiten. Der NU- und MaÂterialÂaufÂwand beÂträgt 70 Einheiten, der PerÂsonalÂaufwand 21 Einheiten und für SonsÂtiges sind 6 Einheiten erÂforÂderÂlich. Die UnÂterÂnehÂÂmensÂleiÂtung möchÂte nun im FolÂgeÂjahr das ErÂgebÂnis um 50% steiÂgern.
Drei Szenarien bieÂten sich dafür an:
- UmÂsatzÂsteiÂgerung um 50 % bei proÂporÂtioÂnaÂler KosÂtenÂsteiÂgerung – ein utoÂpiÂsches UnÂterÂfanÂgen
- SenÂkung der PerÂsoÂnalÂkosÂten um 7,1 % – in ZeiÂten von FachÂkräfÂteÂmanÂgel ein unÂsinÂniÂger GeÂdanÂke
- SenÂkung der EinÂkaufsÂpreiÂse „nur“ um 1,5 % – ein realiÂstiÂscher AnÂsatz
Datentransparenz – Grundvoraussetzung für einen wirksamen strategischen Einkauf
Damit ein erfolgreiches Warengruppenmanagement ins Leben gerufen werden kann, muss zuerst einmal der Schleier, der sich auf den Datenfriedhöfen in den Unternehmen niedergelegt hat, gelüftet werden, denn die Beschaffungsvolumina je Warengruppe, je Lieferant und je Unternehmenseinheit müssen transparent abgerufen werden können.
Weil in vielen Unternehmen diese Daten nicht auf Knopfdruck abrufbar sind, müssen häufig Stammdaten von Lieferanten und Warengruppen zuerst gepflegt und konsolidiert werden, damit aussagekräftige Auswertungen erstellt werden können. Diese Vorarbeiten sind je nach Datenqualität und Unternehmenssoftware – unter Umständen gibt es in Unternehmensgruppen unterschiedliche ERP-Systeme – zeit- und arbeitsintensiv. Idealerweise bildet man ein interdisziplinäres Projektteam mit Kollegen aus Fibu, Controlling, IT und Einkauf zur Erarbeitung der Basisdaten und nutzt diese Ergebnisse und Erkenntnisse sogleich für die Implementierung eines aussagefähigen Berichtswesens.
Systematisches Warengruppenmanagement – Basis des strategischen Einkaufs
Eine Portfolio-Matrix, bei der die Marktkomplexität, bzw. das Versorgungsrisiko auf der x-Achse und das Einkaufsvolumen, bzw. der Ergebniseinfluss auf der y-Achse ausgerichtet werden, ermöglicht eine Klassifizierung der zu beschaffenden Produkte und Leistungen. Durch die Zuordnung der Warengruppen in der Matrix lassen sich Strategien für deren effiziente Handhabung entwickeln.
1. Quadrant „Wettbewerb“ oder auch „Hebelmaterialien“ genannt
Hebelmaterialien sind in der Regel einfach zu beschaffen, d.h. das Beschaffungsrisiko ist gering. Sie haben allerdings einen hohen Einfluss auf das Betriebsergebnis – ihr wertmäßiger Anteil am Beschaffungsvolumen ist hoch.
Der Wettbewerb sollte hier unbedingt aufrechterhalten oder gar erhöht werden, wobei die Beschaffung i.d.R. kurzfristig am Markt durch breite Anfragestreuung erfolgt.
Produkte oder Leistungen aus dem Bauumfeld, die hierunter fallen, könnten für einen Generalunternehmer u.a. Betonstahl oder auch Ausbaugewerke sein.
2. Quadrant „Kooperation“ oder auch „Strategische Materialien“ genannt
Der Fokus des kooperationsorientierten Beschaffungsprozesses liegt im Zukauf von Problemlösungen, da diese Materialien oder Leistungen schwer zu beschaffen sind und ihre Bedeutung für das Unternehmen hoch ist. Der Preis sollte hierbei nicht das Hauptkriterium sein, denn es gilt vor allem vom Know-how des Zulieferers zu profitieren und in der Zusammenarbeit intelligente Lösungen und Alternativen auszuarbeiten. Strategische Allianzen, die über ein Projekt hinausgehen und die sehr frühzeitig – idealerweise in der Frühphase eines Projekts – beginnen sind das erklärte Ziel. Damit dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt sein wird, sind entsprechende Marktkenntnisse und eine gute Reputation des Nachfragers vonnöten. Wenn wir uns virtuell weiterhin in der GU-Welt bewegen, fallen Schlüsselgewerke wie Haustechnik und Fassade unter diese Rubrik.
3. Quadrant „Stillhalten“ oder auch „Engpassmaterialien“ genannt
Der wertmäßige Anteil dieser Materialien am Einkaufsvolumen ist zwar nicht sehr hoch, sie sind aber dennoch schwierig zu beschaffen, weil es bspw. nur wenige Lieferanten gibt oder weil sie technologisch anspruchsvoll sind. Das latent bestehende Versorgungsrisiko sollte durch langfristige Lieferverträge minimiert werden. Produkte oder Leistungen aus dem Bauumfeld, die hierunter fallen, könnten für einen Generalunternehmer u.a. Entsorgung und Energie sein.
4. Quadrant „Effizient abwickeln“ oder auch „Standardmaterialien“ genannt
Die Aufgabe besteht in einer effizienten Abwicklung dieser geringwertigen Produkte und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs, bei denen die Bestellkosten oftmals den Bestellwert überschreiten. Die Reduktion der Prozesskosten durch Abschluss von Rahmenverträgen mit standardisierten Warenkörben, die via e-procurement tools abgerufen werden, steht im Vordergrund. Um das in diesem Zusammenhang häufig genannte Büromaterial nicht überzustrapazieren, können als Beispiele alle Arten von Werkzeugen, IT-Equipment, Mobiltelefone, Bauholz u.v.m. aufgeführt werden.
In einem später erscheinenden Teil II dieses Blogbeitrags werden wir uns detaillierter mit den Möglichkeiten Einsparungen zu generieren, in der Einkäufersprache auch Hebel genannt, und dem Lieferantenmanagement, der zweiten Säule des strategischen Einkaufs, beschäftigen.
Literatur:
Leinz, J.: Strategisches Beschaffungsmanagement in der Bauindustrie, 1. Auflage, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2004
über den Autor:
Der Autor dieses Gastbeitrags auf dem i2nom-Blog ist Dieter Rettner, ein Beschaffungsspezialist mit einem ausÂgeprägÂten straÂtegiÂschen und anaÂlyÂtiÂschen FoÂkus. Dieter Rettner hat in den verÂganÂgenen 25 JahÂren bei den TOP-Firmen der BauÂbranÂche, wie DYWIDAG und BilÂfinÂger BerÂger AG, den straÂteÂgiÂschen EinÂkauf aufÂgeÂbaut und verÂantÂworÂtet. Rettner Consulting berät UnÂterÂnehÂmen der BauÂinÂdusÂtrie um kurz-, mittel- und langÂfrisÂtige EinÂsparÂpoÂtenÂziale zu idenÂtiÂfiÂzieÂren und in messÂbaÂre EinÂsparÂungen umÂzuÂmünÂzen.